Bitten Stetter
Wie sieht dein Arbeitsalltag aus?
Mein Arbeitsalltag ist bestimmt durch Lehrprojekte, den Austausch mit Studierenden, die Leitung der MA-Vertiefung und Forschung der Fachrichtung Trends & Identity. Das heisst, wenn ich nicht im Bachelor oder Master unterrichte, habe ich Teamsitzungen oder strategische Sitzungen, überarbeite Stundenpläne oder Lehrinhalte, plane neue Forschungsprojekte oder forsche in meinem gegenwärtigen Designforschungsfeld «TOD + DESIGN». Hier untersuche ich im Rahmen des SNF-geförderten Forschungsprojektes «Sterbesettings» die materielle Kultur am Lebensende, gestalte Produkte und reflektiere, was die Dinge, die uns umgeben, am Lebensende mit schwerkranken und sterbenden Menschen und ihren Care-Personen machen. Wie sie Einfluss auf Unwohlsein- und Wohlbefinden, auf Selbstbestimmung und Autonomie nehmen und wie sie von Trends beeinflusst sind und unsere Identitäten in der letzten Phase unseres Lebens mitgestalten.
Wo bist du in der ZHdK anzutreffen?
Ich bin, wenn ich nicht in Seminarräumen oder im Masteratelier für Mentorings bin, meist in meinem kleinen abgeschlossenen Glasraum im vierten Stock, im Büro von Trends & Identity. Hier kann ich auch mal die Tür zu machen, wenn ich etwas Ruhe brauche. Das geniesse ich sehr. Geht mir die Luft im Raum ohne Fenster oder der Kaffee aus, bin ich auch auf der Rampe im 5. Stock anzutreffen.
Mit welchen Themen beschäftigst du dich gerade persönlich?
Ich beschäftige mich mit dem Lebensende und dem Design dieser letzten Lebensphase. Ich untersuche die materielle Kultur innerhalb von End-of-Life-Settings und das treibt mich aktuell als Angehörige und Freundin, die Sterben begleitet hat und begleiten wird, wie auch als zukünftige Sterbende an. Mich interessiert konkret, wie Design eingesetzt werden kann, um die Lebensqualität von Sterbenden und ihren Angehörigen zu erhöhen sowie Sterbekompetenz zu vermitteln, und wie Design und Ästhetik einen neuen Umgang mit dem Tod evozieren können. Dabei frage ich mich, welche Konzepte von Sterben in professionellen und institutionellen Dingen gegenwärtig eingeschrieben sind und wie das Design von Dingen das Design einer Gesellschaft mitgestaltet. Diese Auseinandersetzung ist mir sehr wichtig, so wichtig, dass ich in meiner Freizeit und parallel zu meiner Anstellung meine Dissertation zu «Sterbedinge» schreibe und Produkte unter dem Label «Final Studio» gestalte. Das Projekt ist eine Herzensangelegenheit und wird mich sicher noch länger beschäftigen.
Mit wem würdest du gerne einmal zusammenarbeiten?
Puh, weiss ich gerade nicht konkret, grundsätzlich mit Menschen ausserhalb meiner Bubble. Mich reizt das Andere oder die Anderen, die mich vielleicht erstmal irritieren oder deren Lebenswelten mit unbekannt erscheinen. Mit wem ich nicht zusammenarbeiten möchte, könnte ich einfacher sagen. Mache ich aber nicht :-).
Mit wem würdest du gerne ein halbes Jahr die Rolle tauschen?
Ich bin in meinem Sabbatical über mehrer Monate in die Rolle einer Pflegesssistentin auf der Palliativstation geschlüpft und fand das eine anstrengende, aber auch wunderbar spannende Erfahrung. Leider hatten die Angestellten nicht auch die Möglichkeit, die Rolle mit mir zu tauschen, dass hätte, glaube ich, auch ihre Perspektive auf meine Arbeit verändert. Ich habe die Arbeit als sehr bereichernd empfunden, habe viel gelernt, vielleicht mehr vermutlich, als wenn ich die Rolle mit einer anderen Designer:in oder Künstler:in getauscht hätte. Daher würde ich immer einen derartigen Rollentausch suchen, sofern das möglich ist: im Sterben liegen kann ich leider erst dann erproben, wenn ich mich im letzten Abschnitt meines Lebens bewusst oder unbewusst befinde.
Ich fand es auch extrem bereichernd im Rahmen meiner Dissertation an der Uni Bern noch einmal Module in der Sozialanthropologie besuchen zu müssen oder zu dürfen. Auf einmal sass ich mit BA- und MA-Studierenden in Hörsälen, musste wie sie Klausuren schreiben, mich in Seminaren beteiligen und konnte dem Unterricht aus der Perspektive einer Studierenden folgen. Das hat mir auch die Augen geöffnet und ich habe daraus auch für meine Lehrveranstaltungen etwas ziehen können :-) Es geht also nicht um eine spezifische Rolle sondern mehr um den Rollentausch, denn wir als Designer:innen, wohl immer suchen sollten – und vielleicht geht es hier auch nicht nur um Designer:innen sondern um uns Menschen, die nicht müde und nicht zu bequem werden sollten, einen Rollentausch zu provozieren. Vielleicht würde sich auch die ZHdK als Institution massiv verändern, wenn die Theorie-Dozierenden einen Stuhl oder eine App kreieren, Studierende Facility Management machen und wir Lehrenden mal in der Mensa mitarbeiten würden, Hochschul- oder Qualitätsmanager:innen Diplomarbeiten eng begleiten dürften oder die Hochschulleitung eine Diplomausstellung aufbauen würde.
Was ist deine persönliche Definition von Design?
In künstlich gestaltenden Um- und Lebenswelten ist die Frage was nicht Design ist, was also nicht gestaltet, nicht künstlich, sondern natürlich ist, vielleicht die interessantere Frage. Das heisst, es ist sehr schwer zu beantworten, was Design genau ist oder nicht, da der Designbegriff und sein Wirkungskreis eine massive Extension erfahren haben. So sprechen Denker wie Brock von Sozio-Design, um damit die Gestaltung von Wertehaltungen und Lebensformen zu beschreiben. Diese Definition sagt mir zu, da sie sich auf die Wirkungsweise von Design bezieht. Design kann unsere Denkhaltung verändern, Wertewandel evozieren und Lebenswelten und damit Gesellschaft mitformen. Zudem regen mich auch die Kategorien die Friedrich von Borries einführt zum Nachdenken darüber an, was Design ist. Er unterscheidet zwei Sorten von Design: entwerfendes und unterwerfendes Design. Für ihn ist unterwerfendes Design, die Form von Design, die auf bestehende Vorstellungen reagiert; und im Unterschied hierzu betrachtet er entwerfendes Design als agierendes Design, das Bestehendes radikal in Frage stellt und neue Vorstellungen gestaltet, die möglicherweise ausserhalb des gegenwärtig Vorstellbaren liegen. Diese Definition von Design und die vielleicht auch polemische Trennung in zwei Designrichtungen finde ich für heranwachsende Designer:innen wie auch für praktizierende Designer:innen sehr hilfreich, denn es zwingt uns fortwährend darüber nachzudenken, welchen Beitrag wir gerade für welche Gesellschaft leisten oder nicht leisten möchten.
Wo siehst du das Departement Design in 2050?
Sicher wird es neue Ausbildungszweige im Departement Design (DDE) geben, die uns gerade noch verrückt oder «weak» erscheinen, auch die Lehrformate und die Studierenden werden sich verändern und sich den demographischen, gesellschaftlichen, politischen, ökologischen, technologischen und ökonomischen Veränderungsprozesse anpassen. Stichworte sind intergenerationelle Lehrangebote, Diversity, Remote-Work und Health Design. Es scheint aber, betrachten wir die Dynamiken des Wandels und die Beschleunigungsprozesse unserer Zeit, sehr schwer bis unmöglich, in einem Zeithorizont von 30 Jahren Aussagen über eine Zukunft des Departements Design zu treffen.
Aber wenn ich szenarisch antworten würde, verschiedene DDE's skizzieren sollte, dann würde ich ein Axial-Mapping im Sinne der Szenariotechnik aufziehen. An einer Achse würde ich «restriktiv» und «liberal» anordnen und an der anderen Achse «High Touch» oder «High Tech», oder «unterwerfendes Design» und «entwerfendes Design» positionieren. Zudem würde ich Schlüsselfaktoren definieren, wie demographischer Wandel und Migration, Gemeinwohl, sowie Klimawandel, mentale und physische Gesundheit, Smarte Technologien und KI. Dann würde ich daraus Szenarien entwickeln und schauen, welche wünschenswerten oder nicht-wünschenswerten Zukünfte sich daraus ergeben und im nächsten Schritt würde ich versuchen, im Jetzt zu beginnen, die Weichen für ein wünschenswertes Departement 2050 zu setzen. Dabei würde ich weiterhin Wild Cards wie Pandemie, Krankheiten, Kriege oder Ressourccenkrisen konstruktiv mitdenken. Welche Szenarien sich daraus ganz konkret ergeben, müssten wir im Detail und zwingend mit Studierenden explorieren, denn sie sind die Zukunftsträger:innen dieser Hochschule und des Departements Design, und ich, wie viele andere Lehrenden und Leitenden meiner Generation, sind dann hoffentlich längst nicht mehr da und haben es hoffentlich auch nicht verpasst, die jungen Generationen in unsere Überlegungen über die Zukunft des Departements Design mit einzubinden.